Sprache und Glaubwürdigkeit

In meinen vielen geöffneten und unbearbeiteten Browser-Tabs habe ich eben eine Sprachkritik in der WELT wieder entdeckt, mit der Autorin Susanne Gaschke unseren Sprachgebrauch aufs Korn nimmt … das heißt, eigentlich ist es weniger der Sprachgebrauch von Otto Normalverbraucher und Lieschen Müller, sondern eher die Art und Weise, wie Politik und Medien unsere Sprache benutzen.

Aufhänger ist die Wahl Trumps zum US-Präsidenten. Die Empörung war groß (und ist es ja auch heute noch) und die Medien sind mit den Trump-Wählern hart ins Gericht gegangen. Nun hat die Politikwissenschaftlerin Katherine C. Cramer viele Jahre im ländlichen Wisconsin mit den einfachen Leuten gesprochen, mit ihnen Interviews geführt, von ihrem Alltag, ihren Sorgen und Nöten erzählen lassen. Ihr Fazit ist, dass die Menschen in Wisconsin keine Rassisten und keine Frauenfeinde sind, sondern vor allem deshalb Trump gewählt haben, weil sie sich verachtet und übersehen fühlen:

Verachtet und übersehen von den Großstädtern in Madison, Milwaukee oder Washington. Verachtet und übersehen, weil ihr Lebensstil, ihre Vorgärten, ihre Arbeit und ihre Beziehungen nicht so hip, cool, schnell oder hart waren wie die der fernen Journalisten, Wissenschaftler, Manager und Politiker.

Auch in Deutschland klafft eine Lücke immer mehr auf zwischen denen, die etwas zu sagen haben, und denen, die einfach nur folgen können/dürfen/müssen, „zwischen Lauten und Leisen, Schnellen und Langsamen, Einflussreichen und Einflusslosen“. Diese Lücke wird größer wegen der „Bullshit-Quote in der öffentlichen Kommunikation“. Die Kultur des Zuhörens und des Sprechens gerät unter die Räder, die Frage ist, „ob man dem gesprochenen und geschriebenen Wort noch trauen kann“.

 

Doppeldenken statt Klartext bereits ab der Grundschule

Gaschke beschreibt, wie bereits in der Grundschule kein Klartext mehr geredet wird, um empfindsame Schüler nicht zu verletzen. Daher gibt es kein einfaches „gut“ oder „ausreichend“ oder „mangelhaft“, sondern Lehrer basteln sich aus Textbausteinen eine Bewertung, bei der die schlechte Botschaft in ein möglichst positives Bild eingefügt wird. George Orwell nannte es „doublethink“, auch übersetzt mit „Zwiedenken“.
Nach der Schule geht es so auch im Berufsleben weiter:
Mitarbeiter, die man unfreundlich in den Vorruhestand schicken will, weil man sie zum alten Eisen zählt, bekommen „Angebote“ mit klingenden Namen wie „60 plus“. Leute werden auch nicht mehr gefeuert, rausgeschmissen, gekündigt oder entlassen. Sie werden freigesetzt, freigestellt – und das am Liebsten im gegenseitigen Einvernehmen mit Aufhebungsvertrag.
In großen Konzernen sollen sich Mitarbeiter einerseits einbringen, andererseits sind Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit nicht gewünscht. Missstände werden kosmetisch aufgehübscht und als Botschaft unter das Volk gebracht. Das Problem ist nur: „Jeder in der Firma weiß, dass das Quatsch ist. Keiner sagt was.“

 

 

Worthülsen, Binsenwahrheiten und Denglisch

Aber nicht nur unternehmensintern, auch nach außen werden Botschaften vertieft, verfeinert, verschönert. Beispiele für aufbauschte Binsenweisheiten gibt es zuhauf: „PR-Abteilungen und Pressesprecher verschleifen noch die harmloseste differenzierte Binsenäußerung eines IT-Architekten („Smarte Geräte oder gar Städte bringen große Vorteile, können aber auch gefährlich sein, weil sie digital angreifbar sind“) zu PR-Statements: Smarte Städte machen uns zukunftsfähig!“

Aber nicht nur deutsche Wörter werden zu Worthülsen verschwurbelt, auch das Denglische trägt seinen Teil dazu bei, platte Binsen auf (vermeintliche) Bedeutung zu tunen. In Medien und Marketingabteilungen ist oft die Rede davon, man wolle (oder solle) „Content generieren“, also Inhalte. Ja, welche Inhalte denn? Ähnlich hohl klingen Floskeln mit „performen“ oder „committen“. Klar, ist Englisch die führende Wirtschaftssprache, aber bei Äußerungen in deutscher Sprache wäre es angemessener, sich um eine adäquate deutsche Übersetzung zu bemühen anstatt sich mit englischen Floskeln wichtigtuerisch aufzublasen.

 

Unverständliches und uneigentliches Sprechen

Vor allem bei Behörden sorgt die weit verbreitete Amtssprache für eine wachsende Unzufriedenheit der Bürger mit dem Staat. Viele Behördenbriefe sind für weniger gebildete Leser schlichtweg unverständlich. Da haben Verwaltungsfachleute in Verbindung mit Juristen irgendwelche Textbausteine ausgedacht, die zwar gerichtsfest sein mögen, bei denen sich Otto Normalverbraucher und Lieschen Müller nur noch hilflos ausgeliefert fühlen.
Fast noch schlimmer als unverständliches ist aber das uneigentliche Sprechen der Politiker. Viele Politiker und nicht zuletzt die Regierungen in Bund und Ländern gaukeln den Bürgern vor, sie hätten ein offenes Ohr für sie. Um dieser Botschaft etwas Glaubwürdigkeit zu verleihen, startet die Politik wohlklingende Aktionen zum Bürgerdialog oder zur Bürgerbeteiligung. Aber wer kauft der Politik schon ab, dass diese Angebote tatsächlich ernst gemeint sind, wenn Politik und Regierungen sich immer wieder über das hinweg setzen, was in der Volksseele tatsächlich brodelt und kocht.

Es ist fatal, wenn „Bürgerbeteiligung“ oder Regierungsdialoge über das „Gute Leben in Deutschland“ als Beschäftigungstherapie empfunden werden und keineswegs als ernst gemeint. Wo sich dieses Gefühl vermittelt, hat die repräsentative Demokratie schon aufgehört zu funktionieren.

Mir scheint, Politiker glauben tatsächlich an die Wirksamkeit ihres uneigentlichen Sprechens. Und Journalisten sowie Medien unterstützen sie darin, indem sie die uneigentlichen Botschaften unters Volks bringen. Für den Fall, dass sich Journalisten sich nicht nur in Hofberichterstattung üben, sondern Politiker auch kritisch interviewen, sorgen die Politiker mit glatten Antworten dafür, dass sie auf nichts festgenagelt werden können. Die Folge sind, so Susanne Gaschke, „unfallsichere Floskeln“.

 

Glaubwürdigkeit und Vertrauen sind verloren gegangen

Genau das merken aber viele Bürger instinktiv und fühlen sich bevormundet oder sogar hinters Licht geführt.

Das Publikum merkt das ja am Ende doch alles irgendwie, es ist einfach gar nicht so doof. Das Publikum merkt, dass Worte zunehmend etwas anderes mitteilen, als sie bedeuten – und zieht daraus den Schluss, dass man auf all das Gerede wohl nicht viel geben kann.

Genau dieses durchaus nicht unbegründete Gefühl dürfte vermeintliche „Klartext“-Redner wie Donald Trump attraktiv erscheinen lassen – mag ja alles Blödsinn sein, was der erzählt, aber wenigstens ist es nicht der verschleiernde, einlullende Neusprech der Entscheider, PC-Wächter und Herumschubser.

Vielleicht sollten sich Politiker einmal Gedanken darüber machen, wie ihre Sprache beim Wahlvolk ankommt. Und Führungskräfte sollten einmal kritisch hinterfragen, welche Botschaften sie in welcher Verpackung von sich geben. Vielleicht würde Sprache dann wieder klarer und verständlicher – und vor allem glaubwürdiger werden.

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